„Wir haben ein Angebot für die erste und letzte Meile.“
13. Juni 2025
Die Überbrückung der ersten und letzten Meile ist im Öffentlichen Nahverkehr oft ein Problem. Die Kölner Verkehrsbetriebe setzen dabei nun auf Leihräder – und das mit großem Erfolg. Eine bis zu 30-minütige Fahrt ist im ÖPNV-Abo der KVB enthalten. Allein 2024 fanden 4,4 Millionen Fahrten mit den Leihrädern statt. Für Anja Höhn, die Bereichsleiterin des KVB, stehen Einfachheit und Digitalisierung im Fokus bei der Gestaltung eines öffentlichen Nahverkehr-Angebots. Welche Rolle dabei Daten und die Vernetzung von Stakeholdern sowie Betreibern spielen, erklärt sie im Interview.
Wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen?
Anja Höhn: Heute bin ich mit der Stadtbahn gefahren. Ich fahre aber ehrlicherweise meist mit dem Auto, je nach Terminlage.
Sie arbeiten seit 2003 im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs. Wie sehr hat sich Ihr Berufsfeld im Laufe der Zeit gewandelt?
Höhn: Für mich haben sich die Aufgaben und Perspektiven verändert. Die klassischen Verbundaufgaben, mit denen ich begonnen habe, sind weiter eine Selbstverständlichkeit. Zunehmend geht es aber um Einnahmensicherung, d. h. die Finanzierbarkeit der Angebote. Außerdem stehen Einfachheit und Digitalisierung im Fokus, verstärkt und beschleunigt durch das Deutschlandticket im Tarif und Vertrieb, aber auch bei der Vernetzung von multimodalen Angeboten und der Nutzung von Daten. Diese Themen stehen für mich mittlerweile im Vordergrund.
Was bedeutet für Sie innovative Vernetzung von Verkehrsmitteln?
Höhn: Das multimodale Angebot muss die Nutzerbedürfnisse erfüllen. Das tut es, wenn es ein Problem löst, sowohl räumlich als auch im Zugang. Es muss also das richtige Angebot am richtigen Ort verfügbar sein und einfach buchbar.
Wie wichtig ist die Vernetzung der einzelnen Stakeholder und Betreiber, damit diese Vernetzung gelingen kann?
Höhn: Wenn die Stakeholder und Anbieter eng zusammenarbeiten, passen sie das Angebot laufend an die Nutzerbedürfnisse an. Das ist eine Art wiederholender Prozess: Angebot schafft Nachfrage und Nachfrage schafft Angebot. Dann wird es für die Kunden immer leichter, vom eigenen Auto umzusteigen. Wenn hier alle Hand in Hand arbeiten und sich nicht als Konkurrenten verstehen, die Zahlen sauber analysieren und die Menschen einbeziehen, die die verschiedenen Mobilitätsangebote verantworten und organisieren, funktioniert es.

Anja Höhn war 13 Jahre Leiterin für den Bereich Marketing/Tarif beim Verkehrsverbund Rhein/Sieg. Seit 2016 arbeitet sie nun bei den Kölner Verkehrs-Betrieben und ist dort als Bereichsleiterin für den Absatz verantwortlich. Die Diplom-Kauffrau weiß genau, worauf es beim Angebot für dein Öffentlichen Nahverkehr ankommt.
Wo sehen Sie den größten Änderungsbedarf im Bereich der Vernetzung der multimodalen Angebote?
Höhn: Tatsächlich darin, diesen Austausch und die Vernetzung untereinander als Selbstverständlichkeit zu etablieren. Und es gibt viele Stakeholder: natürlich die Anbieter selbst, die Stadtverwaltung, die Bürgerinnen und Bürger, die Kunden, Wohnungsbaugesellschaften usw. Nach meiner Erfahrung in Köln ist das Interesse an diesen Themen ebenso wie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit groß. Aber man muss auch die Interessen der Einzelnen verstehen, zum Beispiel die Wettbewerbssicht der Marktanbieter oder die Interessen der Stadtgestaltung. Und auch die Bürgerinnen und Bürger haben ihre eigene Sicht auf die Dinge. Es nützt ja beispielsweise nichts, wenn die Bürgerinnen und Bürger einen Poller einer temporären Lastenradstation immer wieder entfernen, um zu parken. Dann muss man vielleicht auch mal schauen, ob man in der Nähe einen Standort findet, der besser funktioniert.
Sie setzen auf multimodale Angebote. Bei der KVB ist die zirka 3.000 Räder zählende Leihradflotte in den Abo-Tarif des ÖPNV-Dienstleisters eingebunden. Wie gut wird dieses Angebot angenommen?
Höhn: Wir bieten mit den rund 4,4 Mio. Fahrten in 2024 eines der nachfragestärksten Systeme. Es ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, mit dem ÖPNV-Abo jeweils 30 Minuten kostenlos mit dem KVB-Rad zu fahren. Über zwei Drittel der Ausleihen erfolgt auf diesem Weg und wir sind stolz darauf. Und wir freuen uns darüber, ein Angebot für die erste und letzte Meile machen zu können.

Welche weiteren multimodalen Mobilitätsangebote sind in Köln geplant oder bereits in der Umsetzung?
Höhn: Wir haben gerade ein Pilotprojekt eines öffentlichen Lastenradsystems eingestellt. Hier hat sich gezeigt, dass die Nutzung hinter der Erwartung zurückgeblieben ist. Das eigene Lastenrad ist für viele zur Selbstverständlichkeit geworden und löst auch die Transportprobleme der Nutzenden besser. Aber wir schauen natürlich weiter und werden sicher auch wieder etwas Neues ausprobieren.
Welche Rolle spielen Daten dabei?
Höhn: Die sorgfältige Analyse von Daten ist essenziell, um die Mobilitätsangebote zu optimieren und den Interessenausgleich auch der Stakeholder hinzubekommen. Ein Beispiel ist das Einrichten von neuen, virtuellen Abstellzonen für das KVB-Rad, wenn irgendwo eine Häufung an Abstellungen festzustellen ist. Dann erfüllt man neben den Nutzerbedürfnissen auch die berechtigten Interessen der Stadtgestaltung.
Wir bieten mit den rund 4,4 Mio. Fahrten mit dem Leihrad in 2024 eines der nachfragestärksten Systeme. Es ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, mit dem ÖPNV-Abo jeweils 30 Minuten kostenlos mit dem KVB-Rad zu fahren.
Beim Thema Daten kommen wir schnell zum Projekt MIAAS, an dem die KVB beteiligt ist. Worum geht es dabei?
Höhn: MIAAS war als Forschungsprojekt aufgestellt und hatte zum Ziel, ein digitales Instrument für das Monitoring und die Steuerung der Shared-Mobility-Angebote zu entwickeln. Als eine Art Dashboard, in das alle Daten einfließen und welches Funktionen zur Verfügung stellt. Ein Beispiel ist das digitale Anlegen von Parkverbotszonen bei Großveranstaltungen, welche dann in Echtzeit in die Systeme der Anbieter durchgereicht werden. MIAAS ist mittlerweile abgeschlossen und wir haben viel gelernt. Auf dieser Basis etablieren wir nun ein dauerhaftes System.
Gibt es Regionen, an denen wir uns im Bereich der Vernetzung von Verkehrsangeboten ein Beispiel nehmen können?
Höhn: Man kann eigentlich aus jeder Region etwas lernen, muss aber auf die eigenen Anforderungen und Ausgangslagen schauen und schlau übersetzen. Deswegen habe ich nicht das eine Vorbild.
Wie kommen Sie in zehn Jahren ins Büro?
Höhn: Mit Bus und Bahn oder mit dem Rad. Dann habe ich sicherlich nicht mehr die engen terminlichen Anforderungen, die sich aktuell aus dem Spannungsfeld Familie und Beruf ergeben.
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