Eine Frau sitzt in einem Rollstuhl. Sie schaut auf einen vorbeifahrenden Zug.

Bahn frei für alle: Barrierefreie Mobilität in NRW

12. September 2023

Mobilität ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dass sie jedem Menschen gleichermaßen möglich gemacht werden muss, versteht sich von selbst. Barrierefreiheit steht deshalb schon seit langem auf einer Stufe mit den Faktoren Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, wenn es um Themen des öffentlichen Raums geht – insbesondere beim ÖPNV. Welche Maßnahmen sind bereits Standard und wo besteht noch Nachholbedarf?

Wer ist auf Barrierefreiheit angewiesen?

Bei Barrierefreiheit im ÖPNV denken die meisten an Menschen im Rollstuhl. Auf Barrierefreiheit sind aber auch Menschen mit anderen Arten von Einschränkungen als nur Gehbehinderungen angewiesen, etwa Menschen ohne Sehvermögen, ohne Gehör oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Barrierefreiheit kommt außerdem auch Menschen zugute, die sich nicht das Etikett „Behinderung“ verleihen lassen. Etwa älteren Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind. Oder Kleinkinder, die mit ihren kurzen Beinen einfach nicht im gleichen Maße mobil sind wie ein Erwachsener ohne körperliche Beeinträchtigung. Oder jeder beliebige Mensch, der einen Kinderwagen, ein Fahrrad, Reisegepäck oder ähnliches zu transportieren hat. Prof. Dr.-Ing. Jeanette Klemmer, die Bauingenieurswesen an der FH Münster lehrt und erforscht, schätzt deshalb, dass etwa 30 Prozent aller Teilnehmenden im öffentlichen Raum auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Eine Zahl, die die Relevanz von Barrierefreiheit deutlich sichtbar macht.

Was trägt dazu bei, einen Bahnhof barrierefrei zu machen?

Um Menschen mit Beeinträchtigungen unkompliziertes und sicheres Einsteigen zu ermöglichen, sollte der Abstand zwischen Bahnsteigkante und Einstieg nicht mehr als 5 Zentimeter in Höhe und Tiefe betragen. Ein Bahnsteig sollte außerdem mindestens 2,5 Meter tief sein, um einem Rollstuhl genug Platz zum Manövrieren zu geben.

Bis zu 13 Streckenabschnitte mit einer Gesamtlänge von 212 Kilometern sollen für das Zielnetz 2032 reaktiviert werden und / oder neu in Betrieb gehen. Hier werden bis zu 67 neue Stationen entstehen. Daneben entstehen zusätzlich bis zu 28 neue Bahnhalte an Bestands- und Ausbaustrecken, die sowohl ländliche als auch urbane Regionen stärken. Insgesamt zwölf Kommunen – Aldenhoven, Baesweiler, Harsewinkel, Herten, Kamp-Lintfort, Lotte, Mettingen, Recke, Sendenhorst, Sundern, Verl und Westerkappeln – sollen einen Direktanschluss erhalten.

Für jede Treppe sollte eine Rampe als Alternative zur Verfügung stehen, die mit Rollstühlen, Kinderwagen, Fahrrädern etc. genutzt werden kann.

Wer schon mal mit schwerem Urlaubsgepäck zum Flughafen musste, kann aus erster Hand nachvollziehen, dass Aufzüge nicht nur Menschen mit Gehbehinderungen zugutekommen – sie sind auch ein Komfortgewinn. Für Menschen mit Gehbehinderungen aber sind Aufzüge oft die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Bahnsteig und damit das entsprechende Verkehrsmittel zu erreichen.

Sie ermöglichen allen Fahrgästen einen stress- und gefahrlosen Zugang zu Bahnsteigen, für die sonst aufwändige Umwege in Kauf genommen werden müssten.

Damit auch Menschen mit Sehbehinderungen eine Möglichkeit haben, sich eigenständig zu orientieren, werden spezielle Bodenindikatoren (tastbare Elemente) in den Bahnsteig eingelassen.

Um möglichst viele Arten von Behinderungen aufzufangen, sollten Informationen zu eintreffenden Bahnen, Verspätungen und mehr über zwei verschiedene Sinne zugänglich gemacht werden. 

Kundenbetreuer*innen müssen wissen, wie sie Rollstuhlrampen bereitstellen, Hilfestellung leisten und Auskünfte erteilen können.

Aus dem mobiliTALK-Podcast

Raul Krauthausen, Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit, und Andreas Kerber, Finanzvorstand der BOGESTRA (Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen Aktiengesellschaft), tauschen sich im mobiliTALK-Podcast darüber aus, wie barrierefreie Mobilität im ÖPNV funktioniert.

Maßnahmen und Fördermittel

Im Jahr 2000 rief das Land NRW gemeinsam mit der DB Station & Service AG die Modernisierungsoffensive für Bahnhöfe des Schienenpersonennahverkehrs (MOF) ins Leben. Ihr Ziel: Zustand und Ausstattung der bestehenden Bahnsteige inklusive Zu- und Abgangswegen und Empfangsgebäuden modernisieren. Der Punkt der Barrierefreiheit hatte dabei hohe Priorität. Die MOF 1 nahm sich 87 Bahnhöfe vor und modernisierte sie bis 2010. Allein das Land NRW gab dafür über 85 Millionen Euro an Fördergeldern. In der MOF 2 konnte man sogar mehr Bahnhöfe modernisieren als gedacht, 120 Stationen insgesamt. Dafür kamen 344 Millionen Euro vom Bund, 159 Millionen Euro vom Land und 17 Millionen Euro von der DB. Dieses Maßnahmenpaket steht aktuell kurz vor dem Abschluss. Die MOF 3 schließlich soll bis 2027 rund 52 weitere Bahnhöfe modernisieren, zur Verfügung stehen dafür weitere 226 Millionen Euro. In Bonn beispielsweise sind nun bereits 90 Prozent aller Bahnhaltestellen barrierefrei modernisiert.

"Der öffentliche Verkehr, der Schienenverkehr und der Radverkehr sind das Rückgrat der zukünftigen nachhaltigen und vernetzten Mobilität. Diese hat einen hohen Stellenwert für die Menschen und die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und ist wesentlich für gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg. Wir wollen Mobilität in der Stadt sowie im ländlichen Raum zuverlässig, nachhaltig, barrierefrei und sicher gestalten."

Oliver Krischer Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

Daneben gibt es viele weitere Fördermittel, beispielsweise wurden erst kürzlich 38,5 Millionen Euro vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW für den barrierefreien ÖPNV-Ausbau und die Erneuerung der kommunalen Schiene übergeben.

Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) bietet zusätzliche Unterstützung für Kommunen in seinem Verbundraum. Im Rahmen eines dreijährigen Sonderprogramms können Städte und Kreise 100 Prozent der zuwendungsfähigen Kosten vom VRR fördern lassen, wenn sie Bushaltestellen barrierefrei aus- oder umbauen (Förderung nach §12 ÖPNVG NRW). Zusätzlich schafft der VRR Rahmenbedingungen für Kooperation mit Ingenieurbüros und reduziert so den Verwaltungsaufwand spürbar. Die Förderung von 397 Haltestellen wurde inzwischen vom VRR bewilligt, weitere 1.098 Haltestellen sind eingeplant.

Eine wichtige Aufgabe aller Maßnahmen besteht darin, das zu reduzieren, was das Inklusionsbarometer 2022 von Aktion Mensch als „das unsichtbare Problem der vermiedenen Mobilität“ bezeichnet: Bestehende Barrieren halten Menschen mit Einschränkungen nicht nur auf, sie bringen sie auch dazu, die Fortbewegung im öffentlichen Raum völlig zu vermeiden. Negative Erfahrungen mit fehlender Barrierefreiheit, den Reaktionen durch Mitreisende oder Fahrpersonal, der erhöhte Zeitaufwand und die Befürchtung, anderen Menschen zur Last zu fallen, sind hier nur einige von vielen Gründen.

Jenseits von Bus und Bahn

Was geschieht außerhalb des ÖPNV, um Mobilität im öffentlichen Raum barrierefrei zu gestalten? Ein anschauliches Beispiel lieferte Frauke Burgdorff, Dezernentin für Stadtentwicklung, Bau und Mobilität der Stadt Aachen, beim letztjährigen Mobilitätstag NRW. Sie berichtete davon, dass das Kopfsteinpflaster der Aachener Altstadt abgeschliffen werde. So erleichtere es bedeutend die Mobilität beispielsweise für ältere Menschen mit Rollatoren, ohne seinen Charme einzubüßen. Auch in regelmäßigen Abständen aufgestellte Parkbänke und behindertengerechte Parkplätze tragen zur Mobilität für Menschen bei, die mit körperlichen Einschränkungen unterwegs sind. Gehwege, die breit genug für Rollstühle sind und über taktile Leitsysteme verfügen, klare Beschilderungen, transparente Informationssysteme für barrierefreie Maßnahmen und ein digitales Informationsangebot gehören ebenfalls dazu.

Bündnispartner VRR

Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) gehört zu den größten Verkehrsverbünden Europas. Er sorgt für die Mobilität von 7,8 Millionen Menschen in 16 kreisfreien Städten und sieben Kreisen im Ruhrgebiet, am Niederrhein, in Teilen des Bergischen Landes und in der Landeshauptstadt Düsseldorf.

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