Eine Stadt, die passt: Menschengerecht statt Autofokus
5. September 2023
Verkehrsberuhigte Bereiche, Grünflächen und urbaner Mobilitätmix – lebenswerte Städte haben vor allem eines gemeinsam: Sie denken um. Flächen im öffentlichen Raum werden neu verteilt, Mobilitätsbedürfnisse hinterfragt und die Städteplanung, die in den 60er-Jahren vor allem das Auto mitsamt Straßen und Parkplätzen in den Fokus stellte, wird neu ausgerichtet. Menschen- statt autogerecht lautet die Devise. Doch wie sieht das konkret aus?
Die offensive Straßenpolitik der letzten Jahrzehnte hat auch die Städte in Nordrhein-Westfalen maßgeblich geformt: Gehwege wurden schmaler und Grünflächen zu Parkplätzen. Doch spätestens mit Blick auf Verkehrswende und Klimaschutz ist klar: Städte sollen Lebensraum schaffen – und asphaltierte Flächen wieder zu Begegnungsorten werden.
„Wir haben 60 Jahre lang Strukturen geschaffen: Infrastrukturen, aber auch Denkstrukturen, die uns vom Individualauto in gewisser Weise abhängig gemacht haben. Es muss sich etwas in den Köpfen verändern – und es muss sich aber auch etwas in der Infrastruktur auf den Straßen, auf den Plätzen verändern.“
Wichtig für moderne Städteplanung sei vor allem die faire Verteilung des Straßenraums für alle Verkehrsteilnehmer*innen, sagt Prof. Dr. Roman Suthold, Leiter des Fachbereichs Verkehr und Umwelt beim ADAC Nordrhein-Westfalen. Er spricht in der aktuellen mobiliTALK-Podcast-Folge gemeinsam mit Dr. Jutta Deffner, der Leiterin des Forschungsfelds Nachhaltige Gesellschaft (Mobilität und urbane Räume) am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main, darüber, was passieren muss, damit Menschen das Auto öfter stehen lassen oder ganz auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Rad zurückgreifen.
Was kann in NRW getan werden?
Die wichtigste Stellschraube für die Verkehrswende sieht Prof. Dr. Roman Suthold vor allem darin, den Parkraum neu zu sortieren und eine Gleichwertigkeit von Verkehrsmitteln zu schaffen. Wie die Veränderung aussehen kann, zeigen Projekte aus NRW und der Region schon jetzt.
Ein Blick auf positive Beispiele
Laut einer Studie des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur werden rund 40 Prozent der Pkw an einem durchschnittlichen Tag nicht genutzt. Nur rund 45 Minuten ist das Fahrzeug unterwegs und daher mehr als 23 Stunden geparkt. Während das Auto in ländlichen Regionen überwiegend in den eigenen Garagen steht, blockieren in Metropolen rund die Hälfte aller Autos öffentliche Flächen: Raum, der vielseitig genutzt werden könnte. Um Kommunen in NRW dieses Potenzial aufzuzeigen, hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW ein Selbstexperiment ins Leben gerufen. Die sogenannten „Stadt-Terrassen“ machen Projekte zur Raumverteilung erlebbar und schaffen eine Diskussionsgrundlage für Politik und Anwohner*innen. Mit mietbaren Stadtmöbeln lassen sich Straßen kurzfristig oder dauerhaft in Aufenthaltsflächen wandeln.
Fast jedes dritte neu zugelassene Fahrzeug ist ein SUV oder Geländewagen – doch mit den Autos kann der Parkraum vor Geschäften oder Einkaufsstraßen nicht wachsen. In einer deutschen Großstadt verbringt ein*e Autofahrer*in laut Agora Verkehrswende im Schnitt 40 bis 70 Stunden pro Jahr mit der Suche nach einem Parkplatz, weil es an effektivem Parkraummanagement fehlt – denn freie Flächen gibt es in Parkhäusern tatsächlich schon jetzt: Agora Parking zeigt bereits heute, wie sich Parkflächen zu Urban Hubs mit Logistik- und Mobilitätsangeboten transformieren lassen: Ladesäulen für E-Fahrzeuge treffen auf Stellplätze für E-Lastenräder, die sowohl von Paketdienstleister*innen als auch Privatpersonen genutzt werden können. Zusätzlich schaffen die Parkflächen Raum für Car-, E-Bike- oder E-Scooter-Sharing. Fahrzeuge vielfältiger einzusetzen und zu vermeiden, dass viele von ihnen ungenutzt abgestellt bleiben, schafft Platz in der Stadt und auf den Straßen. Das Ziel von APCOA ist daher: Das bestehende Angebot von rund 2.500 Ladestationen in ganz Europa und 170 Ladesäulen an 60 Standorten in Deutschland zu erweitern.
Straßenlärm von Fahrzeugen, Vibrationen von Straßenbahnen: Wie Stadtbewohner*innen die Lärmbelastung im Wohnraum wahrnehmen, trägt maßgeblich zur Lebensqualität bei. Die RWTH Aachen untersucht daher die Auswirkungen von Fahrzeugen auf ihre Umwelt durch Lärmemissionen und Reifenabrieb. Um die sogenannte Geräuschwirkkette zukünftig vollumfänglich im Fahrzeugentwicklungsprozess berücksichtigen zu können, bietet die Universität ganzheitliche Methoden, um Konzepte zu entwickeln und Problemlösungen für aktuelle Fahrzeugmodelle zu finden.
Laut Deutschem Wetterdienst waren in Städten wie München, Oberhausen oder Hannover im Jahr 2020 über 40 Prozent der Fläche versiegelt – und rund 160 Quadratmeter kamen jährlich dazu. Die Auswirkungen zeigen sich nicht zuletzt an heißen Sommertagen deutlich: Hitzeinseln, Überschwemmungen durch fehlend Versickerung, erhöhte Umweltbelastung und Verlust der Biodiversität. Gerade nachts kann sich die Hitze in engen Gassen stauen, die weniger Bäume, aber dafür umso mehr Parkplätze aufweisen. Parkende Autos werden zu Wärmespeichern und steigern die Umgebungstemperatur zusätzlich. Indem Mobilitätsalternativen wie öffentlicher Nah- oder Fahrradverkehr gestärkt werden, kann auch dieser Herausforderung begegnet werden: Mit begrünten Rasengleisen, Fußgänger- oder Radwegen, die der Flächenversiegelung entgegenwirken – wie beispielsweise ein Projekt in Düsseldorf zeigt.