Tempo 30: Sicherer, sauberer und fließender?
10. Januar 2024
Innerorts mit Tempo 50 von A nach B – dies ist in der bundesweit geltenden StVO als Höchstgeschwindigkeit festgelegt. Zwar befinden sich bereits 85 Prozent aller kommunalen Straßen in Tempo-30-Zonen, dennoch fordern Städte, Gemeinden und Landkreise einen neuen rechtlichen Rahmen, um eigenständig neue Zonen anordnen zu dürfen. In der Folge des mobiliLIVE-Dialogs vom 7. November 2023 sprachen Experten über die Möglichkeiten und Herausforderungen von einem flächendeckendem Tempo 30.
Durch Tempo 30 unsere Städte sauberer, sicherer und vor allem lebenswerter gestalten – das ist die Idee. Braucht es dafür eine neue Gesetzgebung? Hätte diese den gewünschten Effekt und könnte die verschiedenen Interessen aller Verkehrsteilnehmenden vereinbaren? Dazu tauschten sich René Usath, Leiter des Referats Verkehrstechnik, Verkehrslenkung und Verkehrssicherung im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW, Rolf Bick, Sprecher des Fuss e. V. Recklinghausen und Thomas Rohloff, Referent der Handwerkskammer Münster, Arbeitskreis Verkehr WHKT, aus.
Eine bundesweit verordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und Tempo 50 oder 70 als Ausnahme, wenn es die Situation und die Sicherheit der am Verkehr Teilnehmenden ohne Auto erlaubt – Rolf Bick hält dies für die bessere Herangehensweise: „100 Prozent wäre erst mal das, was man anstreben sollte und das entspräche auch dem Ziel der Verkehrsministerkonferenz von 2021, das flächendeckend erst mal einzuführen. Man kann davon natürlich Ausnahmen machen, z. B. in einer Schnellstraße, wo es überhaupt keinen Radweg, keinen Fußweg gibt. Da könnte man auch 50 km/h oder 70 km/h machen. Wenn dann die Anwohner davon auch nicht gestört sind, spricht gar nichts dagegen.“
Das aber so zu lassen, wie es heute ist, wie es heute vorgesehen ist, mit diesen Vorschlägen der Verkehrsministerkonferenz, auf die man sich leider nur einigen konnte, da bedarf es dann den Mut einer Stadt, die dann einfach sagt: Oh, hier muss ich jetzt aber statt 50 km/h 30 km/h einführen.
René Usath sieht die Verantwortung nicht beim Bund, sondern bei den Kommunen. Diese müssten den bereits vorhandenen gesetzlichen Rahmen nutzen: „Vor Ort weiß man am allerbesten, welche Verkehrsregelung gerade möglich ist oder vor allem welche nötig ist. Und wir als Landesregierung haben nur die Möglichkeit, den Instrumentenkasten zu bieten. Diejenigen, die es vor Ort anordnen müssen, tragen natürlich auch die Verantwortung für das, was sie tun. Wenn es beispielsweise bei 50 km/h bliebe und es passieren regelmäßig Unfälle, dann kann auch vor einem Verwaltungsgericht beispielsweise hinterfragt werden: Hier sind Unfälle, warum habt ihr als Verwaltung, mit dem Bürgermeister voran als Chef der Verwaltung, nicht reagiert?“
Die Verantwortung liegt vor Ort und vor Ort wird dann auch die Entscheidung getroffen. Wir haben den Instrumentenkasten, den wir bieten müssen, damit die richtige, passgenau zutreffende Entscheidung vor Ort getroffen wird und die entsprechende verkehrsrechtliche Einordnung ergehen kann.
Auf den „Instrumentenkasten“, wie Herr Usath die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten bezeichnet, und dessen Rahmen beruft sich auch Thomas Rohloff, der als Vertreter des Handwerks und somit für den Wirtschaftsverkehr spricht: „Wichtig ist für mich das, was Herr Usath gerade auch schon angesprochen hat: Es gibt ja jetzt schon die Möglichkeit auf Tempo 30 zu reduzieren, wo Gefahrenzonen ausgewiesen sind. Es ist nicht so, dass da jetzt noch überall Tempo 50 ist. Gerade vor Schulen usw. haben wir die Möglichkeit, ein streckenbezogenes Tempo 30 auszuweisen und da werden wir uns auch nicht gegen aussprechen.“
Uns ist wirklich das Wichtige, dass wir diese Ausweichstrecken haben, damit sich der Verkehr nicht durch alle Tempo 30-Zonen gleichmäßig verteilt. Wir brauchen eine Bündelung der Verkehre, wo ich dann aber auch flüssig und fließend durchkomme und nicht mehr stehe als fahren kann.
Das Handwerk, und somit auch die Kund*innen, sind auf einen fließenden und schnellen Verkehr angewiesen. Thomas Rohloff gibt deshalb zu bedenken, dass auf den wirtschaftlichen Verkehr bezogen „verschiedene Szenarien überhaupt gedacht werden“ und ein pauschales Tempo 30 zu kurz gegriffen sei: „Für das Handwerk besonders wichtig, ihre Wege möglichst schnell, staufrei und flüssig zurücklegen zu können, um ihre Kunden zu erreichen und auch von Kunden und Lieferanten erreicht zu werden.“ Der Befürchtung, dass sich die Fahrzeiten durch eine Beschränkung auf Tempo 30 signifikant verlängern würden, begegnet Rolf Bick mit dem Ergebnis dreier Versuche in deutschen Städten – und führt einen weiteren, wichtigen Aspekt an: „Wir reduzieren auf den Autobahnen auch deswegen die Geschwindigkeit, damit es eben keinen Stau gibt.“
Die mittlere Zeit, die sich ein Weg innerhalb einer Stadt mit dem Auto verlängert, beträgt mit Tempo 30 ungefähr zwischen ein bis zwei Minuten. Und das, finde ich, ist immer eine Sache, die wir ja dem Leben von Personen, der Unversehrtheit von Personen gegenüberstellen müssen.
Wie könnte ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen aussehen? René Usath schließt den mobiliLIVE-Dialog damit, den Verkehrsraum für alle und der jeweiligen Situation angepasst sicherer zu gestalten und so die Sicherheit als höchstes Ziel mit den bestehenden Regularien zu vereinbaren. „Je langsamer der motorisierte Verkehr ist, umso sicherer ist er auch – keine Frage. Es ist aber auch Aufgabe der Straßenverkehrsbehörden und der Straßenbaubehörden, eine sichere Straße anzubieten, d. h. vielleicht auch einen fehlerverzeihenden Verkehrsraum zu gestalten und die Hauptverkehrsstraßen, auf denen man möglichst schnell von A nach B kommt, auch entsprechend sicher zu gestalten.“ Die große Herausforderung des Diskurses um ein flächendeckendes Tempo 30 innerorts ist, einen Kompromiss zu finden, der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und eine passende Lösung bietet. Als Alternative wurde eine Verbesserung des Verkehrsraums für Fußgänger*innen, Radfahrer*innen sowie Anwohner*innen und das Ausschöpfen der bereits vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten genannt, ohne dabei den Wirtschaftsverkehr einzuschränken. Schlussendlich sind sich alle Beteiligten bei einem Aspekt einig: Die Sicherheit im Straßenverkehr sollte das höchste Ziel sein.